Während den Traditionsparteien bei der Europawahl Verluste drohen, können die Nationalisten mit Gewinnen rechnen. Ob sie aber die Politik des Europaparlaments konkret beeinflussen können, hängt von ihrer internen Geschlossenheit sowie von der Kooperationsbereitschaft der Christlichdemokraten ab
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Niklaus Nuspliger, Strassburg
In Brüssel und Strassburg blickt man der Europawahl vom 23. bis 26. Mai mit gemischten Gefühlen entgegen. 373 Millionen Wahlberechtigte aus 27 Mitgliedstaaten sind dazu aufgerufen, ein neues EU-Parlament zu wählen – wobei es nach der Verschiebung des Brexits immer wahrscheinlicher wird, dass auch die 66 Millionen Briten nochmals an die Urnen gehen können. Der Brexit hat zwar in den verbleibenden 27 Mitgliedstaaten die Lust auf einen EU-Austritt verringert. Zudem nähren Umfragen die Hoffnung, dass die Wahlbeteiligung nach jahrelangem Sinkflug endlich wieder steigt. Gleichzeitig rechnen nationalistische Kräfte mit erheblichen Sitzgewinnen, weshalb die Wahl zur Entscheidungsschlacht zwischen Populisten und Proeuropäern stilisiert wird. Matteo Salvini von der italienischen Lega kündigt bereits eine «Revolution» an. Manfred Weber, Spitzenkandidat der christlichdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP), spricht von einer «Schicksalswahl». Und sein sozialdemokratischer Konkurrent Frans Timmermans wähnt sich in einem «Kampf um die Seele Europas».
Volksparteien im Niedergang
Solche Aussagen sind natürlich Wahlkampfgetöse. Doch auch wenn die verfügbaren Projektionen aus methodischen Gründen mit grosser Vorsicht zu geniessen sind, zeichnet sich ab, dass das neue Europaparlament anders aussehen wird als das alte. Der Trend hin zum Zerfall der traditionellen Volksparteien und zur parteipolitischen Zersplitterung dürfte sich akzentuieren. 1999 stellten die EVP und die Sozialdemokraten gemeinsam noch zwei Drittel aller Mandate im EU-Parlament. 2014 war es nur noch gut die Hälfte der Sitze. Und 2019 drohen die Traditionsparteien ihre Mehrheit erstmals zu verlieren.
Auf Sitzgewinne können einerseits neue und proeuropäisch ausgerichtete Kräfte wie Emmanuel Macrons Bewegung La République en marche oder die Grünen hoffen. Andererseits könnten linke und rechte EU-Skeptiker je nach Projektion bis zu 250 Mandate im Parlament erringen, das nach dem Brexit eigentlich von 751 auf 705 Sitze verkleinert werden soll. Nehmen die Briten an der Wahl teil, wird die Verkleinerung verschoben, und die Sozialdemokraten könnten angesichts guter Umfragewerte von Labour ihre drohenden Verluste auffangen. Gestärkt würden aber auch nationalistische und EU-skeptische Kräfte.
Das scheidende Europäische Parlament
Beobachter des Parlamentsbetriebs diskutieren in den Strassburger Cafés und Restaurants drei miteinander verbundene Fragen: Kommt es nach der Wahl zu einer Neugruppierung der Proeuropäer in der politischen Mitte? Droht der christlichdemokratischen EVP die Spaltung? Und gelingt es den Nationalisten, ihre Kräfte zu bündeln und dem Parlament ihren Stempel aufzudrücken?
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